Aufsichtspflicht

Eine kurze Einführung…

Kaum ein Begriff innerhalb der Jugendarbeit ist (zu Unrecht) derart gefürchtet und daher zwangsläufig auch missverstanden wie die “Aufsichtspflicht”. Fast jeder, der beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, weiß, dass Aufsichtspflicht irgendwie und irgendwo existiert.

Also…

Was ist Aufsichtspflicht ?

  • Aufsichtspflichtige Personen haben die Verpflichtung dafür zu sorgen, daß die ihnen zur Aufsicht anvertrauten Minderjährigen selbst nicht zu Schaden kommen und auch keinen anderen Personen Schaden zufügen.
  • Aufsichtspflichtige Personen müssen ständig wissen, wo sich die Ihnen zur Aufsicht anvertrauten Minderjährigen befinden und was diese gerade tun.
  • Aufsichtspflichtige Personen müssen vorhersehbare Gefahren vorausschauend erkennen und zumutbare Anstrengungen unternehmen, um die ihnen anvertrauten Minderjährigen vor Schäden zu bewahren. Hintergrund dieser Verpflichtung ist die Annahme, daß minderjährige Kinder und Jugendliche aufgrund ihres Alters sowie ihrer fehlenden körperlichen und geistigen Reife einerseits ihnen selbst drohende Gefahren entweder überhaupt nicht erkennen oder aber nicht richtig einschätzen können und daher besonderen Schutz bedürfen. Andererseits bestehen aus denselben Gründen auch erhöhte Gefahren für andere Personen, die durch unbewußtes und/oder unüberlegtes Verhalten von Minderjährigen in Gefahr gebracht werden oder Schäden erleiden können.

Wo ist die Aufsichtspflicht geregelt ?

Unmittelbar gesetzlich geregelt sind nur die Rechtsfolgen einer Verletzung der Aufsichtspflicht (wer haftet nach einer Aufsichtspflichtverletzung ?), nicht aber Inhalt und Umfang einer ordnungsgemäßen Aufsichtsführung (Wann ist die Aufsichtspflicht verletzt ?; Wie wird die Aufsichtspflicht erfüllt?).

Allerdings ist mit dieser oft empfundenen Unsicherheit einer fehlenden umfassenden Regelung gerade der große Vorteil verbunden, dass keine absolut verbindlichen Regelungen existieren, die Jugendleiter bei Ihrer Aufsichtsführung behindern und einschränken können.

Während früher die Rechtsprechung dazu neigte, Schäden dadurch zu verhindern, daß jegliche Gefahren von vorneherein vom Minderjährigen ferngehalten werden mußten, ist seit Mitte der sechziger Jahre, begleitet von einem stetig wachsenden Selbstverständnis der Jugend und einer zunehmenden Liberalisierung der elterlichen und schulischen Erziehung auch ein Wandel der gerichtlichen Beurteilungsmaßstäbe erkennbar; so sollen Kinder planvoll und mit wachsendem Alter zunehmend an den Umgang mit den Gefahren des Alltags herangeführt werden. Den Jugendleitern obliegt es, den Kindern zum Umgang mit Gefahrensituationen brauchbare Handlungs- bzw. Reaktionsmuster aufzuzeigen und eigene Erfahrungen zu verschaffen. Damit einhergehen muß aber zwangsläufig eine zeitweilige Absenkung der Aufsichtserfordernisse, so dass von allen Beteiligten daher auch die Möglichkeit in Kauf genommen werden muß, daß in Einzelfällen negative Erfahrungen entstehen. Diese tragen jedoch mit dazu bei, daß den Kindern und Jugendlichen ein vollständiges, reelles Bild ihrer Umgebung und ein umfassender Erfahrungsschatz im Umgang mit dieser vermittelt wird.

Die Jugendleiter können daher meist aus einer Mehrzahl an Reaktionsmöglichkeiten diejenige auswählen, die ihrer subjektiven Ansicht nach am besten der jeweiligen Situation angemessen ist. Sobald das konkrete Verhalten des Jugendleiters noch von einem pädagogisch vertretbaren, nachvollziehbaren Erziehungsgedanken getragen und nicht völlig abwegig ist, sind auch riskantere Entscheidungen und eine liberalere Aufsichtsführung akzeptabel.

Pädagogische Freiräume und Entscheidungsspielräume müssen aber dann zurücktreten, wenn wegen der konkreten Eigenarten des Aufsichtsbedürftigen oder der Gefährlichkeit der Situation erhebliche Schäden drohen.

Für eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufsichtspflicht lassen sich vier Pflichten unterscheiden, die nicht isoliert zu sehen sind, sondern ihren Sinn nur im Gefüge des gesamten Systems erfüllen.

Wie erfülle ich die Aufsichtspflicht?

  1. Pflicht zur Information
    Die Jugendorganisation bzw. der Veranstalter einer Aktivität und der Jugendleiter haben sich vor Beginn der Freizeit oder beim regelmäßigen Gruppenstunden laufend über die persönlichen Verhältnisse der Aufsichtsbedürftigen zu informieren. D.h. ihm sollten alle Umstände, die in der Person des Aufsichtsbedürftigen wurzeln und für die konkrete Gestaltung einer Gruppenstunde/ Ferienfreizeit/ Aktivität generell wichtig sind oder im Einzelfall wichtig sein können bekannt sein, z.B.: Behinderungen, Krankheiten, Medikamenteneinnahme Allergien, Schwimmer/ Nichtschwimmer, Sportliche Fähigkeiten etc… Außerdem muß er die Besonderheiten der örtlichen Umgebung kennen, d.h. alle Umstände, die in der örtlichen Umgebung des Aufenthaltes der Gruppe wurzeln, sei es, daß diese Umstände vom Jugendleiter bzw. der Gruppe beeinflußt werden können oder nicht, z.B.: Sicherheit von Gebäude und Gelände, Notausgänge, Sicherheit möglicher Spielgeräte, Notruf-möglichkeiten, Position des Feuerlöschers, Erste-Hilfe-Material etc. zu informieren. Der Jugendleiter hat sich durch Beobachtungen, ggf. Befragungen, einen raschen persönlichen Eindruck der Anvertrauten sowie darüber zu verschaffen welchen Gefahren die Aufsichtspflichtigen während der Veranstaltung ausgesetzt sind. Nur so ist es möglich, Risikopotentiale vorausschauend zu erkennen und Gefahren bzw. Schäden präventiv zu begegnen.
  2. Pflicht zur Vermeidung von Gefahrenquellen
    Der Jugendleiter ist verpflichtet, selbst keine Gefahrenquellen zu schaffen sowie erkannte Gefahrenquellen zu unterbinden, wo ihm dies selbst auf einfache Art und Weise möglich ist. Von der Anzahl der vorhandenen und drohenden Gefahrenquellen hängt ganz entscheidend das Maß der tatsächlichen Beauf-sichtigung ab. Wenn es dem Jugendleiter also gelingt, einzelne Risiken ganz auszuschalten, muß er sich um diese schon nicht mehr kümmern.
  3. Pflicht zur Warnung vor Gefahren
    Von Gefahrenquellen auf deren Eintritt oder Bestand der Jugendleiter keinen Einfluß hat, sind die Aufsichtsbedürftigen entweder fernzuhalten (Verbote), zu warnen oder es sind ihnen Hinweise zum Umgang mit diesen Gefahrenquellen zu geben. Die Warnungen und Erklärungen sind in ihrer Ausdrucksweise und Intensität altersgerecht so zu gestalten, daß sie von den Aufsichtspflichtigen auch tatsächlich verstanden werden. Bei jüngeren Kindern hat sich der Jugendleiter durch Nachfragen zu versichern, ob seine Hinweise verstanden wurden, ggf. sind diese zu wiederholen. Der Umgang mit ungewohnten Gegenständen, z.B. Werkzeug, ist vorzuführen. Der Jugendleiter hat insgesamt den Eindruck zu vermeiden, daß Verbote zum Selbstzweck werden. Er soll die sachlichen Gründe, die ihn zu einem Verbot bewogen haben, transparent machen, so dass Hinweise und Verbote nicht als “Befehle” empfunden werden. Nur so ist auch eine Beachtung und Befolgung gewährleistet.
  4. Pflicht, die Aufsicht aufzuführen
    Hinweise, Belehrungen und Verbote werden aber in den meisten Fällen nicht ausreichen. Der Jugendleiter hat sich daher stets zu vergewissern, ob diese von den Aufsichtsbedürftigen auch verstanden und befolgt werden. Dies ist die Verpflichtung zur tatsächlichen Aufsichtsführung. Eine ständige Anwesenheit kann dabei nicht in jedem Fall, wohl aber bei Kindern bis zu 5-6 Jahren gefordert werden. Der Jugendleiter muß aber ständig wissen, wo die Gruppe ist und was die Teilnehmer gerade tun. Hierüber muß er sich in regelmäßigen Abständen versichern. Im Allgemeinen kommt ein Jugendleiter dann seiner Aufsichtspflicht nach, wenn er die “nach den Umständen des Einzelfalles gebotene Sorgfalt eines durchschnittlichen Jugendleiters” walten läßt.

Das Maß der tatsächlichen Aufsichtsführung hängt daher von vielen Faktoren ab, z.B.: Alter und persönliche Verhältnisse der Kinder/Jugendlichen, Gruppengrösse, Örtliche Verhältnisse, Anzahl Beherrschbarkeit und Einschätzbarkeit der vorhandenen Gefahrenquellen, objektive Gefährlichkeit der Aktivität, Anzahl der Mitbetreuer.

Der Jugendleiter sollte stets folgende Fragen mit JA beantworten können:

Bin ich darüber informiert, wo sich die mir anvertrauten Kinder und Jugendlichen befinden und was sie tun ?

Habe ich generell alle Vorkehrungen zum Schutze der mir Anvertrauten und Dritter getroffen ?

Habe ich auch in der jetzigen Situation alles Zumutbare getan, was vernünftigerweise unternommen werden muß, um Schäden zu verhindern ?

Wer haftet für was ?

Eine Aufsichtspflichtverletzung und damit auch eine Haftung des Jugendleiters nach den Vorschriften der §§ 823, 832 BGB setzt immer ein Verschulden des Jugendleiters bei Wahrnehmung der Aufsichtspflicht voraus. Als Maßstab kommt dabei (selten) Vorsatz und (meistens) Fahrlässigkeit in Betracht. Während bei der Annahme von Vorsatz der Jugendleiter will bzw. es in Kauf nimmt, daß ein Schaden entsteht, ist von Fahrlässigkeit dann auszugehen, wenn der Jugendleiter zwar keinen Schaden will, allerdings ein Schaden deshalb entsteht, weil der Jugendleiter die erforderliche Sorgfalt eines durchschnittlichen (d.h. verantwortungsbewußten und ausgebildeten, nicht aber allwissenden) Jugendleiters außer Acht gelassen hat.

Bei der Frage, wer letzten Endes für den Schaden aufzukommen hat, wird dann noch weiter unterschieden zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit. Oft wird aber wohl auch dem geschädigten Minderjährigen selbst der Vorwurf zu machen sein, daß die Entstehung des Schadens für ihn vorhersehbar war. Hier greift die “Mitschuld”-Regelung des § 828 BGB ein. Danach ist zunächst Kindern bis zum vollendeten siebten Lebensjahr kein eigenes Mitverschulden anzulasten.

Wenn aber der Geschädigte mindestens 7 Jahre alt ist und er in der Situation, die zum Schaden führte, hätte erkennen können, daß durch sein Verhalten dieser Schaden entstehen wird, kann dies zu einer Minderung oder zum Ausschluß der Haftung des Jugendleiters führen. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, daß mit zunehmendem Alter des Minderjährigen auch sein persönlicher Reifegrad und sein Erfahrungsschatz eine immer präzisere Selbsteinschätzung der eingenen Fähigkeiten und Grenzen sowie der Gefährlichkeit des Tuns ermöglicht.

Die Beantwortung der Frage, wer letztendlich für einen entstandenen Schaden haftet, beurteilt sich nach dem Maß der Aufsichtspflichtverletzung:
Während bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit der Jugendleiter selbst für einen Schaden haftet, kann er im Falle seiner leichten Fahrlässigkeit verlangen, daß er vom Träger der Veranstaltung/ Freizeit von der Haftung “freigestellt” wird, d.h. dieser anstatt des Jugendleiters den Schaden übernehmen muß. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß Jugendleiter, da sie mit besonders gefahrträchtigen Aufgaben betraut werden (Beaufsichtigung von Minderjährigen), letztlich nicht mit Schadenersatzansprüchen belastet werden können, die ihre Ursache gerade in der besonderen Gefahr der übertragenen Aufgabe haben.

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